Menschenwürde – Kinderschutz – Solidarität – Teilhabe – Nicht nur Worte, sondern unser Motor.
Die Zahl der Kinder, die in Sachsen-Anhalt in Pflegefamilien aufgenommen werden, steigt jährlich. Aktuell leben in Sachsen-Anhalt ca. 2.500 Kinder bei Pflegeeltern.
Umso wichtiger ist es, die Pflegeeltern auf diese verantwortungsvolle Aufgabe fachlich vorzubereiten und zu begleiten. Dies geschieht seit nunmehr 20 Jahren im Fachzentrum für Pflegekinderwesen Sachsen-Anhalt in Trägerschaft der Stiftung Ev. Jugendhilfe. Das ist für uns ein guter Grund innezuhalten und kurz in die Vergangenheit aber vor allem, mit Ihnen gemeinsam in die Zukunft zu schauen.
Am 11. März 2020 begigenn wir im Festsaal in der Großen Einsiedelsgasse dieses Jubiläum. Klaus Roth, Vorstandsvorsitzender der Stiftung leitete in die Festveranstaltung ein und sprach neben geschichtlichen Meilensteinen auch Herausforderungen im Pflegekinderwesen an.
Grußworte gab es u.a. durch den Landrat des Sazlandkreises, Markus Bauer und Wolfgang Heine, zweiter Vorsitzender des Landesverbandes für Pflege- und Adoptiveltern Sachsen-Anhalt.
In einem Podium kamen Wegbegleiter und ehemalige Mitarbeiter*innen einen Einblick in die Arbeit des Fachzentrums.
Im Rahmen der Veranstaltung gab es die Gelegenheit sich mit Pflegeeltern, Kooperationspartner*innen, Wegbegleiter*innen sowie ehemaligen Mitarbeiter*innen, auszutauschen.
Musikalisch begleitet wurde dieser Nachmittag durch den Pianisten Julian Eilenberger („Be-flügelt“).
Festrede von Leiterin des Fachzentrums Birgit-Patricia Eilenberger
Pflegeeltern verstehen und professionell begleiten – bilden und beraten
„Wer ein WARUM zum Leben hat, erträgt fast jedes WIE“
Friedrich Nietzsches Zitatfragment und Viktor Frankls Leitsatz. Hier geht es um Sinn und Sinnstiftung
Diese Aussage scheint mir auch auf Pflegefamilien sehr gut zu passen…..
Ich möchte in meiner Rede auf die Inhalte eingehen, mit denen unsere Arbeit befasst ist und auch auf unser WARUM
Frau Kletschka hat gestern zu mir gesagt: „Was waren wir damals enthusiastisch“……. das sind wir heute noch!
Wir wollen Pflegeeltern in erster Linie verstehen, so wie diese ihre Pflegekinder verstehen wollen.
Also kümmern wir uns um die Analyse von Strukturen in der Kommunikation, zwischen Institutionen und in den Familien.
Unser Ziel sind gestärkte und befriedete Pflegeverhältnisse.
Warum sind Pflegeeltern denn anders als Eltern? So fragen uns Menschen immer wieder. Sind sie erstmal nicht und doch unterscheiden sie sich sehr.
Pflegeeltern geben ihre Privatsphäre zu einem großen Teil auf, ja sogar ihre Intimsphäre ist nicht mehr die gleiche. Da kommen fremde Menschen ins Haus, das Jugendamt und eine Herkunftsfamilie spielen plötzlich eine Rolle und ein fremdes Kind kommt mit ins Bett. Sie schützen Kinder, die nicht die eigenen sind….. Bieten ihnen familiäre Bindungen an, Zuneigung und Liebe.
Soweit entspricht die Szene sogar noch den Wunschvorstellungen von Pflegeeltern.
Aber alle Pflegekinder bringen sehr viel leidvolle Erfahrungen mit in die Familie. Davon sind auch die eigenen Kinder der Familie und alle Menschen betroffen, die mit Pflegefamilien zu tun haben, das kann Familien als Ganzes schon irritieren und erschüttern.
Deswegen ist es uns so wichtig, dass alle Pflegeeltern auf diese Herausforderungen gut vorbereitet sind, auch wenn diese uns zunächst nicht glauben wollen, das es welche geben könnte. Wie heißt der Spruch vieler PFE nach ca einem Jahr?????
Genau: „Alles was Sie uns hier gesagt haben ist genauso auch eingetroffen……“
Nun verstehen die Pflegeeltern etwas von ihrem neuen Kind aber Verwandte, Freunde, die Lehrer in der Schule und Therapeuten und Ärzte verstehen diese Familien noch lange nicht.
Hierauf antworten Pflegeeltern oft mit dem Wunsch selber mehr wissen zu wollen.
Pflegeeltern sind in der Regel professionalisierte Eltern und kritisch.
Um Pflegefamilien zu unterstützen, haben wir gemeinsam mit dem Land, den Pflegekinderdiensten, Pflegeelternvereinen, dem Landesverband und nicht zuletzt mit den Pflegefamilien, Bildungsangebote geschaffen, die genau auf die Bedarfe aber auch auf die Bedürfnisse von Pflegefamilien zugeschnitten sind.
Darüberhinaus sind Formate entstanden, die multiplikatorisch wirken,
damit das Können der verschiedenen Fachkräfte auch bei den Pflegefamilien ankommt und sich entfalten kann.
Eine Kollegin in einem Kurs, sie war sozialpädagogische Familienhilfe, war sehr bestürzt, weil sie erkannte, wie ihre Reaktionen und fachlichen Entscheidungen, die in Familien immer gut waren, Pflegefamilien keinen Nutzen brachten.
Fachkräfte sind dann oft selbst enttäuscht und es entsteht ein Kreislauf.
Diesen wollen wir mit unserer Beratung unterbrechen.
Und wenn Horterzieher*innen nicht mehr ärgerlich sind, weil ein Kind ständig den Kühlschrank plündert, weiterhin nicht mehr die Pflegeeltern dafür verantwortlich macht, sondern kreative Lösungen gefunden hat, um einem Kind zu helfen, welches gehungert hat, dann haben alle gewonnen.
Das ist unser WARUM – eines davon.
Wir klären Fachkräfte auf und bilden Pflegeeltern weiter. Wir organisieren Fachtage und Familientage für Pflegefamilien, wollen zum Wohlbefinden von Pflegefamilien beitragen.
Denn nur gut gepflegte Pflegeeltern werden für neue Pflegeeltern werben, denn wir brauchen sie, damit Kinder lernen können, was es bedeutet einen sicheren Ort zu haben und geliebt zu werden.
Nur so werden diese Kinder in unsere Gesellschaft hineinwachsen und an allem teilhaben können. Denn unbemutterte Mütter können nicht bemuttern…….. und der Teufelskreis schließt sich.
Die Themen, die Pflegeeltern in Bewegung halten, sind schwere Themen:
Misshandlung, Vernachlässigung, Traumafolgen, Bindungsstörungen, Krankheitsbilder psychischer Erkrankungen, Fetales Alkoholsyndrom ……. keine leichte Kost.
Wenn wir dazu beitragen können, das Wissen über diese Themen, in Verbindung mit den Lebensumständen von Pflegeeltern in die Gesellschaft zu tragen und dann die Wirksamkeit erleben, dann ist das auch ein WARUM.
Der Ausspruch:
„Gott hat keine Enkelkinder“ von der Theologin Dorotee Sölle, hat mich angesprochen.
Diese Worte besagen soviel, dass wohl jede Generation sich ihre eigenen Werte erarbeiten muß. In ihrem Fall ist es der Glaube.
In unserem Fall ist es das Wissen um die Besonderheit von Pflegefamilien und es gibt auch hier neue Generationen, auch ihnen wollen wir das Anliegen von Pflegefamilien nahebringen.
Mich hat dieser Ausspruch auch etwas gerettet, weil manchmal ein Gefühl aufkommt, immer das selbe zu tun…….
Die Wahrheiten und Themen ändern sich nicht, solange Kinder nicht sicher bei ihren Eltern leben können und deswegen werden die Themen sich wiederholen. Und deswegen werden wir weiter immer dasselbe tun und nicht verzagen.
Unser WARUM ist die Freude über geglückte Pflegeverhältnisse und Kinder, die es in die Gesellschaft schaffen und an ihr teilhaben können. Unser WARUM sind aber auch motivierte, fröhliche Fachkräfte, die sich ihrer beschwerlichen Arbeit immer wieder neu widmen.
Danke an alle Ideengeber der ersten Stunden!
Danke an das Land Sachsen-Anhalt, das sich so für Pflegefamilien einsetzt!
Danke an die Stiftung ev. Jugendhilfe und deren Vorstand, dass sie die Pflegeelternschule übernommen haben und uns bis heute, als Fachzentrum begleiten und unterstützen!
Danke an alle Mitarbeiter*innen in den Pflegekinderdiensten, für ihre treue und kreative Zusammenarbeit und den Mut sich immer wieder auf Neues einzulassen!
Danke an alle Pflegeeltern für ihr Vertrauen in uns, in die Referent*innen, ihr mutiges sich einlassen auf alternative Seminarformen und Selbsterfahrung.
Und nicht zuletzt –
Danke an mein Team – ihr seid unersetzbar! Karo Babelscheck, Heidi Bachmann, Ines Spengler, Caro Kühnelt, Andrea Meng, Uta Rinne, Iurii Nechyporenko
Danke
Birgit-Patricia Eilenberger