Vom 13.05. bis 15.05. 2025 fand der Deutsche Jugendhilfetag in Leipzig unter dem Motto „Weil es ums Ganze geht, Demokratie durch Teilhabe sichern“
Zum Vortrag „Schutzkonzepte und die Kompetenz der anderen – Wissen und Erfahrungen der Pfleegfamilienverbände nutzen“, schilderten Frau Dr. Carmen Thiele vom PFAD-Bundesverband, Frau Nevim Krüger vom Bundesverband FASD sowie Frau Kerstin Held vom Bundesverband BbP ihre Erfahrungen zum Thema Kinderschutz und zeigten auf, welche Blickwinkel für Pflegekinder mitgedacht werden müssen, die bisher noch nicht im Fokus der Entwicklung von Schutzkonzepten stehen.
Frau Dr. Thiele wies in diesem Zusammenhang auf die Fachgruppe der IGFH hin, die sich mit der Entwicklung von Schutzkonzepten gem. § 37 b SGB VIII befasste. Außerdem lenkte sie den Blick auf die oft hochbelastete Situation von Pflegekindern in Institutionen wie Schulen und Tageseinrichtungen und verwies auf die Pflicht zur Kooperation und Information im Kinderschutz gem. § 4 SGB VIII.
Frau Krüger machte darauf aufmerksam, dass Pflegekinder mit FASD bis zu 20.000-mal mehr unter Mobbing und sozialer Ausgrenzung in Kitas und Schulen zu leiden haben als andere Kinder und Jugendliche und forderte, dass hier genauer hingeschaut werden müsse. Jedes negative Erlebnis belaste FASD-Kinder, die an sich schon häufiger traumatisiert sind und mehr Beziehungsabbrüche erlebt haben als andere Pflegekinder, zusätzlich und dränge sie mehr und mehr in die Rolle von Systemsprengern. Emotionale Vernachlässigung von Kindern mit FASD im Kontext Schule sei ein Thema, da die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder übersehen, nicht ernst genommen und durch ungeeignete Erziehungsansätze oft torpediert würden. FASD als hirnorganische Schädigung verwachse sich aber nicht durch sonst übliche Erziehungsmethoden. Menschen mit FASD brauchten alles, außer emotionalen sowie leistungsbezogenen Druck. Pflegefamilien mit FASD-Kindern erlebten aber häufig Unverständnis ihrer besonderen Situation und Isolation.
Kerstin Held benannte den inklusiven Kinderschutz als Quersäule der inklusiven Pflegekinderhilfe. Gegenüber Pflegeeltern, die behinderte Kinder aufnehmen, gäbe es noch immer viele Vorurteile. Mitunter vermieden Fachkräfte in Behörden und Einrichtungen, sich für die Vermittlung schwer oder mehrfach behinderter Kinder in Pflegefamilien stark zu machen, da dies einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeute. Dabei habe jedes Kind das Recht auf eine Familie und behinderte Kinder in einer Pflegefamilie eine weitaus größere Chance, viel individueller gefördert zu werden, als dies eine Einrichtung vermag. Auch schwerst behinderte Kinder, deren Eltern aus verschiedensten Gründen die Versorgung und Betreuung ihres Kindes nicht selbst leisten können, haben Bindungswünsche. Frau Held wies weiterhin auf den zunehmenden Pflegemangel in Kliniken hin, der durch ein strukturell gefährdetes System im Gesundheitswesen entstanden sei und dazu führe, dass schwerst behinderte Kinder Mängel in der pflegerischen Versorgung erfahren müssten, die kindeswohlrelevant seien und denen begegnet werden müsse.
Zusammen unterstrichen die Vertreterinnen der drei Bundesverbände die gemeinsame Verantwortung von Fachkräften und Pflegeeltern, die Teilhabe ihrer besonderen Pflegekinder zu sichern und ihre Rechte durchzusetzen. Das Konzept der basalen Kommunikation sei der Schlüssel, die emotionalen Bedürfnisse beeinträchtigter und behinderter Pflegekinder zu erkennen und durchzusetzen. Hier könnten Fachkräfte sich noch besser fortbilden und noch mehr auf ihre Pflegeeltern vertrauen. Dazu gehöre beispielsweise auch die Erkenntnis, dass ein gesunder Ablöseprozess jugendlicher Pflegekinder mit Pflege- bzw. Freizeitassistenz Hilfe zur Entwicklung von Selbstständigkeit und Autonomie bietet und nichts mit einer Überlastung von Pflegeeltern zu tun habe.
Dirk Schäfer vom Institut Perspektive gGmbH Bonn moderierte die Veranstaltung „Wer Visionen hat, …sollte Gehör finden! Auf der Suche nach Wegen für eine zukunftsfähige Pflegekinderhilfe – für alle!“
Hier kamen Vertreter Betroffener zu Wort, sowohl eine Pflegemutter, ein leibliches Kind von Pflegeeltern, erwachsene (frühere) Pflegekinder sowie eine leibliche Mutter und äußerten aus ihren Erfahrungswelten heraus ihre Wünsche und Visionen:
- Pflegekinder bräuchten mehr direkte Beteiligung. Häufig wollten Erwachsene das Beste für das Pflegekind, aber ihr Bestes sei eben nicht automatisch auch das Beste aus Sicht des Kindes. Auch seien die Erwartungen an Pflegekinder zu Beginn eines Pflegeverhältnisses mitunter zu hoch, etwa, die neuen Pflegeeltern nun als Eltern anzuerkennen. Ständig als das „Pflegekind“ bezeichnet zu werden, lasse ein Gefühl der Stigmatisierung entstehen. Es sei wichtig zu erfahren, was Pflegekinder fühlen. Dies gelinge nur, indem man sie unterstütze, sich zu äußern. So gelinge es, bei Kindern Selbstwirksamkeit zu entwickeln statt einen Opferstempel aufgedrückt zu bekommen.
- Leiblichen Eltern sollten mehr Chancen zur aktiven Einbeziehung im Hilfeprozess ermöglicht werden, wenn Pflegekinder dies auch möchten. Als „Herkunftsfamilie“ bezeichnet zu werden, wirke auf leibliche Eltern oft abwertend. Die sei im neuen Gesetz § 37 a SGB VIII auch verankert worden. Zu häufig werde aber noch abgewartet, ob Eltern sich selbst um Mitwirkung bemühten. Genau dies könne aber die Perspektive eines Pflegeverhältnisses unsicher machen und zu Krisen führen. Leibliche Eltern wünschten sich, dass mit ihnen gesprochen werde, statt über sie. Auch sie bräuchten Möglichkeiten des Austausches über ihre Situation mit Gleichbetroffenen.
- Pflegeeltern sollten noch besser auf ihre Aufgaben vorbereitet werden, mehr Fortbildungsangebote und Unterstützung erhalten. Regelmäßige Pfleegelternabende, Supervisionsangebote und Familienfreizeiten seien wichtige Instrumente. In diesem Zusammenhang wären auch mehr einheitliche Regelungen über kommunale sowie Landesgrenzen hinweg dringend wünschenswert, um ein besseres Gefühl der Wertschätzung und des Respektes zu erhalten. Bei Abbrüchen von Pflegeverhältnissen, aus welchen Gründen auch immer, fühlten sich Pflegeeltern häufig sehr allein gelassen. Mitunter werde ihnen sogar der weitere Kontakt zum ehemaligen Pflegekind massiv erschwert. Dies müsse sich ändern.
- Pflegefamilien bräuchten das Gefühl von Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und hier gute Unterstützung. Dies beinhalte auch den Blick der Fachkräfte auf die leiblichen Kinder in Pflegefamilien, die sich oft ungesehen fühlen. Leibliche Kinder hätten oft das Gefühl, dass ihre Familie die Einzige im Umfeld sei, die anders sei. Orte der Begegnung, gemeinsame Veranstaltungen, Gruppenarbeiten, Familienwochenenden, in denen die Bedürfnisse aller Beteiligten in Pflegefamilien gewürdigt werden, sollten selbstverständlich und regelmäßig angeboten werden. Ein Sommerfest im Jahr sei da nicht ausreichend.
- Selbstvertretungen Betroffener sollten noch stärker unterstützt und gefördert werden.
Dirk Schäfer bezeichnete jede qualitative Weiterentwicklung auch als Zumutung und verlieh gleichzeitig seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Fachkräfte der Pflegekinderhilfe und angrenzenden Professionen sich dieser Herausforderung stellen und ihr Potenzial erkennen und fördern.
Der Landeverband der Adoptiv- und Pflegefamilien im Land Sachsen-Anhalt präsentierte seine Verbandsarbeit an einem eigenen Messestand, der gute Informationen für Interessenten bot und viel Zulauf hatte.
Verschiedene freie Träger, die Hilfen nach § 33(2) SGB VIII anbieten, teilweise auch deutlich überregional, präsentierten sich ebenfalls in der Messehalle. In den dort geführten Gesprächen fiel auf, dass eine Zusammenarbeit mit den örtlichen Pflegekinderdiensten der Jugendämter, wie sie § 37c Abs. 3 Satz 4 SGB VIII fordert, leider noch keineswegs selbstverständlich ist!
Aufmerksam machen möchten wir auf die Broschüren des PFAD-Bundesverbandes als gute Arbeitshilfen für Fachkräfte sowie Pflegeeltern:
- „Was brauchen Pflegeeltern, Qualität in der Pflegekinderhilfe,
- H. Scheuerer-Englisch: „Kindliche Sicherheit als Leitlinie fachlichen Handelns – Fremdplatzierung und Bindung von Kindern in Pflegefamilien“
- Broschüre „Übergänge gestalten“ für Pflege- und Adoptiveltern“
Kerstin Held vom BbP hat zusammen mit Jasmin Sturm ein Kinderbuch herausgebracht, dass den schwierigen Weg der Entscheidung für ein gutes Zuhause eines behindert geborenen Kindes betrachtet. Dieses Zuhause kann eine Pflegefamilie bieten:
Kerstin Held, Jasmin Sturm: „Familie ist ein Gefühl“, ISBN: 978-3-00076-115-7